„Man muss das Buch von hinten lesen“, lautete einer der Sätze, die während der Coronapandemie Maßnahmen rechtfertigten, wenn nicht eindeutig vorhersehbar war, was folgen wird. Mit der Klimakrise verhält es sich anders, wir kennen das Ende der Geschichte, handeln aber nicht danach. Die Gegenwart ist kein Satzpalindrom à la „Anni, meide die Minna!“, wo rückwärts gleich vorwärts ist. Während unsere erste Vorfahrin Lucy auf dem ausgetreckten Arm verendete, weil sie beim Schlafen von einem Baum fiel, sterben wir heute, frei nach Roger Willemsen, als reizübersteigerte Hochleistungsmaschinen, den Arm noch angewinkelt zur Beobachtung der zweiten Wirklichkeit.

Wir wissen, worauf wir zusteuern, aber können wir unsere Gegenwart auch begreifen? Können wir, in Kenntnis des Ausgangs der Geschichte, diese weiterschreiben? Müssten wir unseren Aufenthalt nicht durch Enthaltung gestalten, das ENT also wichtiger nehmen als das AUFhalten, das einzelne Wort größer schreiben als den Plot? „Anni, meide die Minna!“, lautet das berühmteste Satzpalindrom, das heute auch als Warnung für Wer gegen wen verstanden werden kann. Die Dinosaurier haben wir überlebt, noch sind die Außerirdischen nicht da, die Reise nach Alpha Centauri dauert länger als eine ganze Jugend. Solange das so bleibt, heißt es: Wir gegen uns! (Birgit Birnbacher)

Birgit Birnbacher (1985, Schwarzach im Pongau, Österreich) lebt als Schriftstellerin in Salzburg. Sie gewann 2019 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Zuletzt erschienen von ihr bei Zsolnay: Ich an meiner Seite (2020), Wovon wir leben (2023).

Klaus Kastberger (1963, Gmunden, Österreich) ist Professor für neuere deutschsprachige Literatur, Leiter des Literaturhaus Graz und des Franz-Nabl-Institut. Zuletzt erschien von ihm Alle Neune: Zehn Aufsätze zur österreichischen Literatur (Sonderzahl, 2023).

10.10., 19:00

Literaturhaus Graz
Elisabethstraße 30
8010 Graz ♿

8/5 Euro

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